Out-Law Analysis Lesedauer: 3 Min.

Unternehmen müssen sich auf gravierende Änderungen im Kartellrecht einstellen


Die geplante 11. GWB-Novelle könnte dafür sorgen, dass Unternehmen künftig mit dem Kartellrecht in Berührung kommen, ohne dass sie gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot verstoßen haben.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) soll erneuert werden. Der entsprechende Referentenentwurf zur 11. GWB-Novelle (Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz) läutet nicht weniger als einen Paradigmenwechsel in der Kartellrechtsdurchsetzung ein. Neben nationalen Regelungen zum Digital Markets Act (DMA) und einer erleichterten Abschöpfung von Gewinnen aus einem Kartell, sollen sogenannte Sektoruntersuchungen aufgewertet werden. Wird der Entwurf so umgesetzt, werden sich Unternehmen auf erhebliche Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamtes (BKartA) und Änderungen im Transaktionsgeschäft einstellen müssen.

Behördliche Eingriffe auch ohne Kartellrechtsverstoß

Bereits jetzt kann das BKartA Strukturen und Wettbewerbsbedingungen in bestimmten Wirtschaftszweigen untersuchen und hat davon bereits in verschiedensten Branchen Gebrauch gemacht, so etwa in Bezug auf Online-Werbung, Krankenhäuser, Infrastruktur von Ladesäulen, Sammlung und Transport von Haushaltsabfällen und die Nachfragemacht im Lebensmitteleinzelhandel. Allerdings sind der Behörde die Hände gebunden, wenn es darum geht, die dabei festgestellten Defizite der Wettbewerbsbedingungen zu beheben und gegen einzelne Unternehmen vorzugehen, sofern kein Verstoß gegen das Kartellrecht, wie beispielsweise bei Bildung eines Kartells oder Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, im Raum steht.

Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen sind weitreichend und können in letzter Konsequenz und unter erhöhten Anforderungen auch bedeuten, dass Unternehmensteile oder Vermögen veräußert werden müssen.

Der Referentenentwurf soll dieses Manko beheben und die Schlagkraft von Sektoruntersuchungen erhöhen. Künftig soll die Möglichkeit bestehen, an die Ergebnisse der Untersuchung anzuknüpfen und Unternehmen „Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsbedingungen“ aufzuerlegen. Somit könnte das BKartA künftig auch dann in den Markt eingreifen, wenn sich kein rechtswidriges Verhalten von Unternehmen nachweisen lässt. Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagenen Maßnahmen sind weitreichend und können in letzter Konsequenz und unter erhöhten Anforderungen auch bedeuten, dass Unternehmensteile oder Vermögen veräußert werden müssen.

Der Gesetzesentwurf spricht davon, dass das Instrument der kartellrechtlichen Sektoruntersuchung „nur geringfügig angepasst“ wird. Der Blick auf die neuen Eingriffsbefugnisse offenbart allerdings eine nicht zu unterschätzende Schärfung des Kartellrechts, die stark an die Befugnisse der britischen Wettbewerbsbehörde CMA erinnern. Ein Unternehmen könnte künftig mit dem Kartellrecht in Berührung kommen, ohne dass es gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot verstoßen hat – allein, weil es auf einem Markt tätig ist, dessen Wettbewerbsstrukturen gestört sind. Die aktuelle Reform betrifft nur kartellrechtliche Sektoruntersuchungen. Die Stärkung von Sektoruntersuchungen zum Verbraucherschutz, die ebenfalls das BKartA durchführt – etwa zu Nutzerbewertungen im Internet – wird noch geprüft.

Folgende wesentliche Änderungen in Bezug auf kartellrechtliche Sektoruntersuchungen sind angedacht:

Zeithorizont

Künftig sollen Sektorunterschuchungen regelmäßig innerhalb von 18 Monaten abgeschlossen sein. Weitere 18 Monate hat das BKartA, um über erforderliche Maßnahmen zu entscheiden.

Maßnahmen

Wird während der Sektoruntersuchung eine erhebliche, andauernde oder wiederholte Störung des Wettbewerbs festgestellt, kann die Behörde gegenüber den Unternehmen des Sektors sogenannte Abhilfemaßnahmen anordnen. Diese betreffen unter anderem:

  • die Gewährung des Zugangs zu Daten, Netzen oder Schnittstellen
  • die Belieferung anderer Unternehmen
  • Vorgaben zur Vertragsgestaltung
  • Normen oder Standards
  • die organisatorische Trennung von Unternehmens- oder Geschäftsbereichen

Unter strengen Voraussetzungen und als letztes Mittel kann das BKartA auch die Veräußerung von Unternehmensanteilen oder Vermögen anordnen. Kommt es zu einer solchen Entflechtung, gilt grundsätzlich ein Rückerwerbsverbot für fünf Jahre, sofern sich die Marktverhältnisse nicht wieder entspannt haben.

Anmeldung von M&A-Transaktionen

Unternehmen können zudem für die Dauer von zunächst drei Jahren verpflichtet werden, Unternehmenstransaktionen in bestimmten Regionen oder für bestimmte Produkte bei der Behörde anzumelden. Die regulären Anmeldeschwellen müssen dafür nicht erfüllt sein. Unter bestimmten Voraussetzungen kann diese Verpflichtung nach Ablauf der drei Jahre verlängert werden.

Abschöpfung von Kartellgewinnen

Der Gesetzentwurf sieht auch vor, dass Vorteile, die Unternehmen durch Kartellrechtsverstöße erzielt haben, künftig leichter abgeschöpft werden können. Im Vergleich zur jetzigen Situation werden die Hürden für die Möglichkeit einer Gewinnabschöpfung gesenkt. Bislang waren die Hürden so hoch, dass dieses Instrument noch nie angewendet wurde. Dies lag unter anderem an den dafür erforderlichen komplexen Berechnungen des wirtschaftlichen Vorteils. Künftig soll bei einem nachgewiesenen Kartellrechtsverstoß die Vermutung gelten, dass das Unternehmen einen Vorteil in Höhe von mindestens einem Prozent seiner Inlandsumsätze mit dem vom Kartellverstoß betroffenen Produkt erzielt hat. Diese Vermutung kann nur widerlegt werden, wenn das Unternehmen nachweist, dass ein solcher Gewinn im relevanten Zeitraum nicht in dieser Höhe erzielt wurde. Ob das Unternehmen schuldhaft gehandelt hat oder nicht, soll künftig irrelevant sein.

Umsetzung des DMA

Darüber hinaus soll die 11. GWB-Novelle die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen, dass das BKartA die EU-Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act (DMA) unterstützen kann. Der DMA reguliert das Verhalten von Betreibern zentraler Plattformdienste, die eine gewisse Größe erreicht haben und im DMA als Gatekeeper bezeichnet werden.

Der DMA wurde am 12. Oktober 2022 im Amtsbatt der EU veröffentlicht und tritt damit Anfang November 2022 in Kraft. Damit beginnt die Umsetzung des DMA und es sind Regelung zur praktischen Durchführung zu erwarten. Mit der Bestimmung der Gatekeeper, die sich an die vorgesehenen Verhaltensgebote und -verbote zu halten haben, ist ab Frühjahr 2023 zu rechnen. 

Um die effektive Durchsetzung des DMA zu unterstützen, soll das BKartA durch die vorgeschlagene Gesetzesreform ermächtigt werden, Untersuchungen mit Blick auf Verstöße gegen die Artikel 5, 6 und 7 des DMA vornehmen zu können. Diese Artikel definieren die Verpflichtungen von Gatekeepern.

Außerdem soll eine Möglichkeit zur gerichtlichen Durchsetzung des DMA in Deutschland eingeführt werden. Konsequenterweise sollen die Vorschriften, die bislang die private Durchsetzung von Schadensersatz in Kartellfällen erleichtern, auch für Verfahren mit Bezug zum DMA gelten.

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