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Bundesregierung hält daran fest, Unternehmensstraftaten strenger zu sanktionieren


Ein neuer Gesetzesentwurf könnte zu einer grundlegenden Veränderung der Compliance-Landschaft in Deutschland führen, so ein Experte. Strafen wegen Wirtschaftskriminalität könnten in Zukunft bis zu 10 % des Unternehmensumsatzes ausmachen.

Im April hatte das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) den Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ veröffentlicht. Nun hat das Bundeskabinett den Entwurf mit nur marginalen Änderungen in den Bundestag eingebracht.

 

„Der Regierungsentwurf enthält im Vergleich zu dem Referentenentwurf vom 22. April 2020 nur marginale Änderungen“, so Dr. Jochen Pörtge, Experte für Wirtschaftsstrafrecht bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. „Die grundsätzliche Kritik am Referentenentwurf und Verbesserungshinweise im Detail werden vollständig ignoriert. Das zeigt: Die Regierung ist fest entschlossen, den Entwurf ohne größere Änderungen verabschieden zu lassen.“ Mehrere Wirtschafts- und Anwaltsverbände hatten kritisiert, die vorgesehenen Sanktionen gegen Unternehmen seien unverhältnismäßig und nicht notwendig, insbesondere die Regelungen zu internen Untersuchungen sei ungeeignet.

 

Der Gesetzesentwurf soll die Sanktionsmöglichkeiten bei Unternehmensstraftaten verschärfen und zusätzliche Anreize für Compliance-Maßnahmen schaffen: Für einen Verband mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 100 Millionen Euro könnte die Geldsanktion demnach bis zu 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen. Für Unternehmen mit einem niedrigen Jahresumsatz würde die Höhe der Geldsanktion bis zu 10 Millionen Euro betragen. Das Bemühen des Verbands, die Straftat aufzudecken und den Schaden wieder gutzumachen, kann die Strafe laut Gesetzesentwurf verringern. Auch getroffene Compliance-Maßnahmen, die künftig Straftaten vermeiden und aufdecken sollen, können sanktionsmindernd berücksichtigt werden.

 

„Das Gesetz wird für alle Unternehmen mit Tochtergesellschaften, Hauptsitz oder Geschäftsaktivitäten in Deutschland zu einer grundlegenden Veränderung der Compliance-Landschaft und der zu ergreifenden Compliance-Maßnahmen führen“, so Dr. Eike W. Grunert, Experte für Compliance bei Pinsent Masons.

Härtere Sanktionen bei Wirtschaftskriminalität

Bislang können Straftaten, die von Mitarbeitern eines Unternehmens begangen werden, gegenüber dem Unternehmen lediglich mit einer Geldbuße nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) geahndet werden. Die Höchstgrenze liegt bei 10 Millionen Euro – unabhängig von der Größe des Unternehmens und der Höhe seiner Umsätze.

„Eine angemessene Reaktion auf Unternehmenskriminalität ist damit nicht möglich“, so das BMJV. Die Höchstgrenze lasse „insbesondere gegenüber finanzkräftigen multinationalen Konzernen keine empfindliche Sanktion zu und benachteiligt damit kleinere und mittelständische Unternehmen.“ Zudem lege das geltende Recht „die Verfolgung auch schwerster Unternehmenskriminalität allein in das Ermessen der zuständigen Behörden, was zu einer uneinheitlichen und unzureichenden Ahndung geführt hat.“

Laut BMJV verfolgt der Gesetzesentwurf das Ziel, „die Sanktionierung von Verbänden, deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, auf eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu stellen, sie dem Legalitätsprinzip zu unterwerfen und durch ein verbessertes Instrumentarium eine angemessene Ahndung von Verbandstaten zu ermöglichen.“

Das neue Gesetz soll ausschließlich für Verbände gelten, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist.“ Gemeinnützige Organisationen wären somit nicht betroffen. Auch bei bloßen Ordnungswidrigkeiten soll das neue Gesetz nicht angewendet werden. In diesen Fällen soll weiterhin das OWiG gelten.

Der Entwurf sieht zwei Arten von Verbandssanktionen vor: die Verwarnung mit Sanktionsvorbehalt und die Verbandsgeldsanktion in Höhe von 10 % des durchschnittlichen Jahresumsatzes oder bis zu 10 Millionen Euro bei Unternehmen mit einem Jahresumsatz unter 100 Millionen Euro. Eine ursprünglich vorgesehene dritte Sanktion, die Auflösung des Verbands, wurde aus dem Entwurf gestrichen. „Dessen ungeachtet bleiben die zivilrechtlichen Regelungen zur Auflösung von Unternehmen bestehen“, so Dr. Pörtge.

Interne Untersuchungen können Sanktionen mildern

Neu ist die Regelung, dass das Gericht berücksichtigen soll, wenn ein Unternehmen sich mit internen Untersuchungen an der Aufklärung einer Straftat beteiligt hat. Die Sanktion soll in solchen Fällen entsprechend milder ausfallen. Zuvor sah der Entwurf vor, dass ein Gericht diese Tatsache lediglich berücksichtigen kann.

Aus dem Entwurf gestrichen wurde die gesetzliche Anforderung an interne Untersuchung, dass sie „in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen“ durchgeführt werden müssen. „Diese Streichung bedeutet allerdings nicht, dass sich Unternehmen nunmehr über insbesondere straf-, datenschutz- oder arbeitsrechtliche Grenzen hinwegsetzen dürfen“, so Dr. Pörtge. „Insoweit ist und bleibt die Rechtslage unverändert: Bei internen Untersuchungen müssen rechtliche Grenzen eingehalten werden. Dies wird in der Begründung des Gesetzesentwurfs bestätigt.“

Die sanktionsmildernde Wirkung soll abhängen von Art und Umfang der durch die internen Untersuchungen offenbarten Tatsachen „und deren Bedeutung für die Aufklärung der Tat, den Zeitpunkt der Offenbarung und das Ausmaß der Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden.“

Veröffentlichung von Sanktionen

Bei einer großen Zahl von Geschädigten kann das Gericht zudem anordnen, dass die verhängte Verbandssanktion veröffentlicht wird. Der Gesetzgeber betont, dass die öffentliche Bekanntgabe einer Verurteilung allein die Information von Geschädigten bezweckt und das Gericht sich bei der Entscheidung über die Bekanntmachung von diesem Zweck leiten lassen muss. „Der Gesetzgeber reagiert damit auf den Vorwurf gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf, dass die Bekanntmachung Prangerwirkung habe und wie eine weitere Sanktion wirke“, so Dr. Pörtge. „Das Gericht muss sorgfältig prüfen, ob anderweitige Informationsquellen bestehen und deshalb auf die Bekanntgabe verzichtet werden kann.“

Zeitplan und Übergangsregelung

Die Parteien der Großen Koalition hatten sich bereits 2018 darauf geeinigt, Wirtschaftskriminalität wirksamer zu verfolgen und Unternehmen stärker zu sanktionieren, die von Fehlverhalten ihrer Mitarbeiter profitieren.

Laut Koalitionsvertrag soll das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden. „Die nunmehr erfolgte Veröffentlichung des Regierungsentwurfs verdeutlicht einmal mehr, dass der Gesetzgeber trotz Ausbruch der Corona-Pandemie an seinem Zeitplan festhält“, so Dr. Grunert. Wird das Gesetz von Bundesrat und Bundestag angenommen, so gilt eine Übergangsregelung von zwei Jahren, ehe die Neuerungen in Kraft treten. Dr. Grunert: „Für Unternehmen, die noch keine wirksamen Compliance-Maßnahmen zur Vermeidung potenzieller Verbandstaten implementiert haben, kann die vorgesehene zweijährige Übergangszeit knapp bemessen sein. Unternehmen sollten frühzeitig damit beginnen, ihre Compliance-Risiken zu analysieren und risikominimierende Maßnahmen zu dokumentieren oder zu aktualisieren.“

[AKTUALISIERT am 17. 06. 2020: Dieser Artikel wurde aktualisiert, um Informationen zur Veröffentlichung des Regierungsentwurfs aufzunehmen.]

 

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