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03 Dec 2020, 1:52 pm
Die von der Europäischen Kommission entwickelte Strategie ist patientenorientiert und soll auf den gemeinsamen Anstrengungen der Industrie während der Corona-Krise aufbauen, so die Experten für Life Sciences bei Pinsent Masons, der Kanzlei hinter Out-Law. Die Kommission hofft, sie binnen einiger Jahre umsetzen zu können.
„Die Strategie stellt die Patienten in den Mittelpunkt und betont die Notwendigkeit, den sofortigen Zugang zu qualitativ hochwertigen, sicheren und wirksamen Medikamenten zu gewährleisten. Dabei erkennt die Strategie an, dass sowohl innovative Produkte als auch Biosimilars und Generika einen Beitrag dazu leisten, dieses Ziel zu erreichen“, so Catherine Drew von Pinsent Masons.
„Die Strategie nimmt die Macht und die künftige Rolle von Gesundheitsdaten und Dateninfrastrukturen in den Blick, ebenso die Notwendigkeit verschiedener Finanzierungsquellen, um Neuerungen zu fördern. Sie betont auch, wie wichtig neue Geschäftsmodelle sind, da Arzneimittel das Potenzial von Einmalbehandlungen bei neuartigen Therapien sowie Zell- und Gentherapien bieten, und hebt zudem die Notwendigkeit von Neuerungen für ökologisch nachhaltige Arzneimittel und deren Herstellung hervor“, so Nicole Jadeja, ebenfalls von Pinsent Masons.
Die Strategie verfolgt eine Reihe von Zielen: So sollen etwa die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln gewährleistet, der Zugang zu innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln für Patienten gefördert sowie die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie der EU unterstützt werden. Zudem soll die EU in Bezug auf Arzneimittel autonom werden und robuste Lieferketten aufbauen, die auch in Krisenzeiten belastbar sind. Auch die Haltung der EU soll global an Bedeutung gewinnen.
Laut Helen Cline von Pinsent Masons wird der Erfolg der Strategie abhängen „vom Engagement, der Zusammenarbeit, dem Beitrag aller Interessengruppen und davon, dass man sich darauf konzentriert, Differenzen beiseitezulegen, um eine gemeinsame Vision eines Europas zu verwirklichen, in dem die Patienten die Gewissheit haben, dass sie rechtzeitig sichere, wirksame und erschwingliche Arzneimittel erhalten.“ Die COVID-19-Pandemie habe gezeigt, was erreicht werden kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
In ihrem Papier sichert die Kommission zu, die Arzneimittelgesetzgebung zu überarbeiten, um die digitale Transformation der Gesundheitsversorgung zu fördern. Dazu gehöre es, neue Methoden der Datenerhebung und Analyse zur Unterstützung der Entwicklung, Zulassung und Verwendung von Arzneimitteln zu ermöglichen. Zudem umreißt die Strategie Pläne, durch die die Genomdatenforschung ausgeweitet, die Leistungsfähigkeit von Hochleistungscomputern und künstlicher Intelligenz (KI) genutzt und der Übergang zu einer Welt der personalisierten Medizin unterstützt werden könnten.
Die Kommission betont zudem die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Regulierungsbehörden und anderen Einrichtungen über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg.
„Kooperation ist ein Kernthema der Strategie, die sich dabei auf die Erfolge während der COVID-19-Pandemie bezieht. Für die F&E-Phase wird eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Regulierungsbehörden, Fachleuten im Gesundheitswesen und Patientenorganisationen, die sich auf unerfüllte Patientenbedürfnisse konzentrieren, vorgeschlagen. Für die Beschaffungsphase werden Kooperationen zwischen denen angeregt, die Beschaffungsprozesse durchführen, und denjenigen, die sich auf die Bewertung von Gesundheitstechnologien konzentrieren, um sicherzustellen, dass evidenzbasierte Entscheidungen den rechtzeitigen Zugang für Patienten gewährleisten“, so Drew.
Es sei klar, dass an jeder vorgeschlagenen Zusammenarbeit zahlreiche Parteien beteiligt sind, und es werde interessant sein zu sehen, ob die Strategie all die verschiedenen Organisationen dazu ermutigen kann, rechtzeitig auf das gleiche Endziel hinzuarbeiten.
Marc L. Holtorf
Rechtsanwalt, Partner, Head of German Life Sciences
Die Möglichkeiten, Gesundheitsdaten in der EU für Forschung und Entwicklung zu nutzen, sind begrenzt, schlecht koordiniert und für die Patienten und die Industrie nachteilig.
Die Pharmastrategie ist eine von mehreren wichtigen Veröffentlichungen, die die Kommission in der vergangenen Woche herausgegeben hat. Die vorgeschlagene neue Data-Governance-Verordnung soll als grundlegender Rahmen für weitere datenbezogene Reformen dienen, die die Kommission in ihrer Datenstrategie dargelegt hat. Sie wurde gemeinsam mit einer umfassenderen digitalen Strategie im Februar dieses Jahres veröffentlicht. Die Pläne der Kommission sehen vor, dass gemeinsame europäische Datenräume in neun Sektoren geschaffen werden, so auch im Gesundheitswesen.
Laut Marc L. Holtorf von Pinsent Masons ist die Zusammenarbeit beim Austausch von Gesundheitsdaten eines der Kernthemen der Kommission: „Die anvisierte Schaffung eines europäischen Gesundheitsdatenraums ist ein Schlüsselelement des Vorschlags“, so Holtorf. „Die Möglichkeiten, Gesundheitsdaten in der gesamten EU für Forschung und Entwicklung zu nutzen, sind begrenzt, schlecht koordiniert und daher sowohl für die Patienten als auch für die Industrie nachteilig. Es ist an der Zeit, diese Situation grundlegend zu ändern.“
Die Herausforderung, ein Gleichgewicht zwischen freiem Wettbewerb und Investitionsanreizen auf dem Arzneimittelmarkt herzustellen, wird ebenfalls in der Arzneimittelstrategie der Kommission thematisiert.
Es ist entscheidend, dass bestehende Strukturen aufgebrochen werden und die Zusammenarbeit unter den Interessengruppen gefördert wird.
„Die Strategie zeigt viele Herausforderungen und Chancen auf, denen sich der Life-Science-Sektor gegenübersieht, insbesondere im Hinblick auf die Suche nach wirksamen und gerechten Mechanismen und Modellen, durch die Anreize für Innovationen in Bereichen wie dem des ungedeckten medizinischen Bedarfs geschaffen werden“, so Jadeja. Diese Herausforderungen und Chancen seien nicht neu, ebenso wenig wie die Notwendigkeit, ihnen zu begegnen. „Allerdings hat die COVID-19-Pandemie viele dieser Probleme ins Rampenlicht gerückt, das erkennt auch die Strategie an. Ich hoffe, dass die Strategie zu einer offenen Debatte über Anreize führt. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass bestehende Strukturen aufgebrochen werden und die Zusammenarbeit unter den Interessengruppen gefördert wird.“
In Bezug auf Anreize für Innovation im Life-Science-Sektor sei auch der separate neue Aktionsplan der Kommission zum geistigen Eigentum relevant, so Jules Fabre von Pinsent Masons.
„Was das geistige Eigentum betrifft, so steht die Strategie im Einklang mit früheren Mitteilungen der Kommission und der Überprüfung der Anreize für die Pharmaindustrie. Die Kommission bestätigt, dass sie nach wie vor die Vorteile einer weiteren Harmonisierung der so genannten ‚Bolar‘-Ausnahme prüfen und im Rahmen ihres Aktionsplans zum geistigen Eigentum Optionen zur Verbesserung der einheitlichen Anwendung der Regeln für ergänzende Schutzzertifikate (Supplementary Protection Certificates/SPCs) untersuchen wird – eine separate Bewertung der ebenfalls von der Kommission veröffentlichten SPC-Verordnung ergab, dass das nationale Verwaltungssystem für SPCs die Wirksamkeit und Effizienz des SPC-Systems untergräbt.“
„In ihrem neuen Aktionsplan zum Schutz des geistigen Eigentums teilt die Kommission mit, dass sie sich damit befassen wird, wie sich die fragmentierte Anwendung der SPC-Verordnung bewältigen lässt. Zudem möchte sie die Möglichkeit der Einführung eines einheitlichen SPC-Zuschussmechanismus sowie eines einheitlichen SPCs prüfen. Die Kommission ruft die Mitgliedsstaaten auch dazu auf, rasch den einheitlichen Patentschutz einzuführen und erklärt, dass sie die Anwendung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums weiterhin evaluieren wird, insbesondere um sicherzustellen, dass Unterlassungsklagen in allen Mitgliedsstaaten einheitlich und effizient angewandt werden", so Fabre.
Ebenfalls relevant für die Schaffung von Anreizen, insbesondere in Bezug auf Investitionen in Bereichen mit ungedecktem medizinischen Bedarf, ist die erste Folgenabschätzung der Kommission zu den EU-Verordnungen über Arzneimittel für seltene Krankheiten und über Kinderarzneimittel, welche ebenfalls in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Medikamente für sehr seltene Krankheiten, die als Orphan-Arzneimittel ausgewiesen sind, können bis zu zehn Jahre Marktexklusivität genießen. Mit pädiatrischen Verlängerungen kann die Exklusivität von SPCs um sechs Monate oder die Marktexklusivität für Orphan-Medikamente um zwei Jahre verlängert werden. Voraussetzung hierfür ist, dass Forschungsstudien durchgeführt wurden, um den Nutzen und die Risiken der Medikamente bei der Anwendung an Kindern zu erforschen.
Die Kommission hat erkannt, dass es nach wie vor notwendig ist, Innovationsanreize zu schaffen. Sie trägt außerdem der bedeutenden Rolle der Hersteller von Generika und Biosimilars auf dem EU-Arzneimittelmarkt Rechnung. Daher will sie gezielte politische Maßnahmen in Betracht ziehen, um Generika und Biosimilars zu fördern. So soll auch ein einheitliches Bewertungsverfahren in allen EU-Mitgliedstaaten eingeführt werden für Wirkstoffe, die für verschiedene Generika verwendet werden. Die Wirkstoff-Stammdokumentation soll helfen, den Regulierungsprozess zu straffen und zu vereinfachen.
Angesichts der Herausforderungen, die während der COVID-19-Pandemie aufgetreten sind, hat die Kommission auch Pläne zum Aufbau widerstandsfähigerer Lieferketten für Arzneimittel und Medizinprodukte skizziert.
Die Kommission hat mitgeteilt, sie werde zunächst mit der Industrie und anderen Interessengruppen zusammenarbeiten, um ein besseres Verständnis der Funktionsweise globaler Versorgungsketten zu erlangen und die genauen Ursachen und Triebkräfte verschiedener potenzieller Schwachstellen zu ermitteln, einschließlich potenzieller Abhängigkeiten bei der Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln, pharmazeutischen Wirkstoffen und Rohstoffen. In der Anfangsphase soll über mögliche Maßnahmen und politische Optionen beraten werden, die ergriffen werden könnten, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Im Einklang mit den umfassenderen Plänen der Kommission für einen „europäischen Grünen Deal“ zielt die Strategie auch darauf ab, die Herstellung von Arzneimitteln umweltverträglich zu gestalten. Zu den Plänen gehören die Reduzierung des Abfalls von nicht verwendeten Medikamenten, beispielsweise durch kleinere Packungsgrößen, und der Aufbau auf bestehenden Plänen in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft und die Nachhaltigkeit von Chemikalien.