Out-Law Analysis Lesedauer: 6 Min.
12 May 2020, 1:30 pm
Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung sind die gesetzlichen Vertreter bestimmter Gesellschaften laut Insolvenzordnung (InsO) dazu verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen. Für die Zeit bis zum 30. September 2020 hat der Gesetzgeber diese Pflicht mit dem Covid-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) aufgehoben, aber nur für die Unternehmen, die aufgrund der Covid-19-Pandemie und ihrer Folgen in eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geraten sind und für die die Aussicht besteht, dass sie wieder zahlungsfähig werden.
Damit soll den von der Pandemie betroffenen Unternehmen Zeit gegeben werden, notwendige Vorkehrungen zu treffen, um die Insolvenz zu beseitigen. So könnten sie beispielsweise staatliche Hilfen in Anspruch nehmen oder auch Finanzierungs- und Sanierungsarrangements mit Gläubigern und Kapitalgebern treffen.
Doch auch wenn die Insolvenzantragspflicht für bestimmte Fälle ausgesetzt wurde, bleibt ein Risiko für die Geschäftsführer von zahlungsunfähigen Unternehmen, sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar zu machen. Das kann gerade dann der Fall sein, wenn die Zahlungsunfähigkeit nicht auf der Covid-19-Pandemie beruht oder wenn keine Aussicht darauf besteht, dass die Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann.
Die Insolvenzantragspflicht vor Covid-19
Vor Inkrafttreten des COVInsAG waren die gesetzlichen Vertreter bestimmter Gesellschaften gemäß Insolvenzordnung verpflichtet, im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Diese Regelung gilt vor allem für den Geschäftsführer einer GmbH, für den Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG und für den Vorstand einer Aktiengesellschaft. Ein Insolvenzantrag muss laut InsO sofort und „ohne schuldhaftes Zögern“ gestellt werden, sobald ein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist.
Wenn der Geschäftsführer gegen die Insolvenzantragspflicht verstößt, macht er sich gegebenenfalls schadenersatzpflichtig und strafbar. Die zivilrechtliche Haftung ist sehr weitreichend: Tritt eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit ein, darf der Geschäftsführer keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen zulassen. Zahlungen, die dennoch erfolgen, muss der Geschäftsführer aus seinem Privatvermögen erstatten. Ist ein Insolvenzverfahren über die Gesellschaft eröffnet, so sind Insolvenzverwalter verpflichtet, diese Erstattungsansprüche zu prüfen und geltend zu machen. Die strafrechtliche Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung besteht darin, den Insolvenzantrag nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig zu stellen, obwohl eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestand. Sowohl die vorsätzliche als auch die fahrlässige Insolvenzverschleppung sind strafbar.
Bemüht sich das Unternehmen außergerichtlich darum, sich zu sanieren, um wieder zahlungsfähig oder nicht mehr überschuldet zu sein, darf mit dem Insolvenzantrag höchstens drei Wochen abgewartet werden. Diese Dreiwochenfrist ist eine starre Höchstgrenze. Wenn zum Beispiel die Sanierungsbemühungen aussichtsreich sind, ihr Erfolg aber voraussichtlich nicht binnen drei Wochen, sondern erst danach eintreten wird, muss sofort ein Insolvenzantrag gestellt werden. Der Geschäftsführer darf also nicht abwarten, bis der Sanierungserfolg eintritt.
Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit
Es gibt zwei Insolvenzgründe: Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit. Sie unterscheiden sich darin, dass bei der Zahlungsunfähigkeit nur liquides Vermögen und fällige Verbindlichkeiten, bei der Überschuldung hingegen das gesamte Vermögen und die gesamten Verbindlichkeiten betrachtet werden.
Wichtig ist, dass bei der Zahlungsunfähigkeit nur Liquidität – also Bar- und Buchgeld sowie abrufbare Kredite – einerseits und fällige Verbindlichkeiten andererseits angesetzt werden.
Eine Gesellschaft ist dann zahlungsunfähig, wenn sie nicht genug Zahlungsmittel hat, um alle fälligen Verbindlichkeiten zu befriedigen. Das wird in zwei Schritten festgestellt: Im ersten Schritt wird stichtagsbezogen überprüft, ob die fälligen Verbindlichkeiten die liquiden Mittel übersteigen. Im zweiten Schritt wird in einem Finanz- oder Liquiditätsplan prognostiziert, ob eine etwa bestehende Unterdeckung innerhalb der drei Wochen, die auf den Stichtag folgen, wieder ausgeglichen wird. In die Prognose müssen die Zuflüsse an liquiden Mitteln und fällig werdenden Verbindlichkeiten einbezogen werden, die innerhalb der drei Wochen zu erwarten sind.
Bei geringfügigen Liquiditätslücken von unter 10 Prozent wird vermutet, dass die Gesellschaft zahlungsfähig ist. Bei größeren Liquiditätslücken ist davon auszugehen, dass die Gesellschaft zahlungsunfähig ist.
Eine Überschuldung liegt vor, wenn folgende zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
Um den ersten Punkt festzustellen, wird ein Überschuldungsstatus erstellt. Dazu wird das Vermögen mit den Verbindlichkeiten verglichen, indem das gesamte Vermögen der Gesellschaft stichtagsbezogen zu Liquidationswerten angesetzt wird. Liquidationswert ist der Wert, der bei dem Verkauf des einzelnen Vermögensgegenstands erzielt werden kann.
Der im zweiten Punkt genannte negative Fortführungsprognose liegt vor, wenn die Finanzierung der Gesellschaft im laufenden und im nächsten Geschäftsjahr nicht abgesichert ist und deswegen die Zahlungsunfähigkeit droht. Droht keine Zahlungsunfähigkeit, dann ist die Fortführungsprognose positiv und die Gesellschaft ist nicht überschuldet im Sinne des Insolvenzrechts.
In der Praxis geht es vor allem um die Frage nach der Zahlungsunfähigkeit, denn ob eine Überschuldung vorliegt, ist nur mit viel Zeit- und Kostenaufwand feststellbar und wegen der Fortführungsprognose mit Unsicherheiten behaftet.
Neue Rechtslage wegen Pandemie
Wegen der Covid-19-Pandemie hat der Gesetzgeber die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags bis zum 30. September 2020 ausgesetzt. Das gilt nur, wenn die betroffenen Unternehmen wegen der Folgen der Pandemie in eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung geraten und wenn Aussichten bestehen, dass die Zahlungsunfähigkeit beseitig werden kann. Beides – die Ursache der Insolvenz in der Covid-19-Pandemie und die Aussichten auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit – müssen die Unternehmen nicht nachweisen, die Beweislast wurde also umgekehrt.
Kann ein Unternehmen nachweisen, dass es zum Stichtag am 31. Dezember 2019 zahlungsfähig war, so ist gesetzlich vermutet, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten erst später – durch die Covid-19-Pandemie – verursacht worden sind und dass das Unternehmen an sich solide gewirtschaftet hat.
Daher empfiehlt es sich für jedes von der Covid-19-Pandemie betroffene Unternehmen, das Vorliegen der Zahlungsfähigkeit zum 31. Dezember 2019 zu dokumentieren. Kann die Geschäftsführung nachweisen, dass das Unternehmen bis zum 31. Dezember zahlungsfähig war, so kann sie von der Regelung zur Aussetzung der Insolvenzantragspflicht gebrauch machen. Das bedeutet, dass die Geschäftsführung das zahlungsunfähige oder überschuldete Unternehmen weiterführen darf und bis zum 30. September 2020 Zeit hat, das Unternehmen zu sanieren. In dieser Zeit muss kein Insolvenzantrag gestellt werden. Eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung droht dann nicht.
Die zivilrechtliche Haftung der Geschäftsführer wird in diesem Fall auch abgemildert, denn Zahlungen, die dem Geschäftsbetrieb oder der Umsetzung eines Sanierungskonzepts dienen, muss der Geschäftsführer nicht erstatten.
Verbleibende Strafbarkeitsrisiken
Auch unter der neuen Rechtslage bleiben erhebliche Strafbarkeitsrisiken. Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung besteht insbesondere dann unverändert, wenn die Zahlungsunfähigkeit nicht auf der Covid-19-Pandemie beruht oder keine Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht.
Die neu eingeführte gesetzliche Vermutung, dass die Insolvenz auf der Covid-19-Pandemie beruht und die Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann, wenn das Unternehmen bis zum 31.Dezember 2019 zahlungsfähig war, greift im Strafverfahren nicht unmittelbar ein, da die Strafverfolgungsbehörden nachweisen müssen, dass die Insolvenzlage schon vor der Covid-19-Pandemie vorlag und insbesondere trotz der zusätzlichen staatlichen Hilfen keine Aussicht auf eine Sanierung bestand. In der Gesetzesbegründung heißt es dazu, dass nur ausnahmsweise, wenn keine Zweifel bestehen, angenommen werden kann, dass die Insolvenz nicht pandemiebedingt war und die Beseitigung der Insolvenzlage nicht gelingen konnte. In der Praxis dürfte es der Staatsanwaltschaft regelmäßig schwerfallen nachzuweisen, dass Ursache der Insolvenz nicht die Covid-19-Pandemie war und insbesondere mit staatlichen Hilfen keine Aussicht auf eine Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit bestand.
Um das Risiko von Vorwürfen der Strafbarkeit zu reduzieren, sollte die Geschäftsführung während der Pandemie darauf achten, die veränderte wirtschaftliche Situation sowie getroffene Entscheidungen und Sanierungsaussichten zu dokumentieren. Sollte ein Ermittlungsverfahren wegen Insolvenzverschleppung eingeleitet werden, kann eine solche Dokumentation zur Entlastung angeführt werden.
Grundsätzlich bleibt das Strafbarkeitsrisiko wegen anderer Insolvenzstraftaten unverändert. Das betrifft insbesondere die Strafbarkeit wegen Bankrotts, Verletzung der Buchführungspflicht oder wegen Gläubiger- und Schuldnerbegünstigung. Allerdings schränkt das COVInsAG das Strafbarkeitsrisiko bei Gläubigerbegünstigung ein, indem es normiert, dass die Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten Kredits sowie die Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung eines solchen Kredits als nicht gläubigerbenachteiligend gelten.
Es besteht außerdem das Risiko, dass der Vorwurf der Strafbarkeit wegen Untreue erhoben wird, wenn Geschäftsführer nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit gegen Zahlungsverbote verstoßen und noch Zahlungen leisten. Das Risiko ist allerdings durch das COVInsAG reduziert. Danach gelten Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, die den Betrieb aufrechterhalten oder wiederherstellen, als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar.Sie unterliegen somit nicht dem Zahlungsverbot. Vorrausetzung ist auch hier, dass die Zahlungsunfähigkeit pandemiebedingt ist und Aussicht darauf besteht, dass sie beseitigt werden kann.
Gegenüber Geschäftspartnern besteht das Risiko der Strafbarkeit wegen Betrugs, wenn etwa bei Vertragsschluss über Zahlungsfähigkeit und -willigkeit getäuscht wird.
Strafbarkeits- und Haftungsrisiken minimieren
Geschäftsführer sollten genau prüfen, ob die durch das COVInsAG möglichen Erleichterungen auch wirklich auf ihr Unternehmen angewendet werden können. Die Gründe für ihre Entscheidung sollten sie genau dokumentieren
In bestimmten Fällen ist das Risiko der Strafbarkeit im Zusammenhang mit Zahlungsunfähigkeit verringert, allerdings sollten Unternehmen sorgfältig prüfen, ob die gesetzlichen Erleichterungen tatsächlich einschlägig sind.
Besonders wichtig ist es, für den Stichtag 31. Dezember 2019 gründlich zu dokumentieren, dass das Unternehmen zahlungsfähig war. Das stellt sicher, dass sich die Geschäftsführung auf die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht berufen darf.
Unternehmen sollten deswegen vorsorglich dokumentieren, ob und wie sich die wirtschaftliche Lage und insbesondere Zahlungsfähigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie verschlechtert hat und durch welche Maßnahmen eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit beseitigt werden kann. Anhand dessen kann belegt werden, dass berechtigterweise davon ausgegangen wurde, dass eingegangene Verbindlichkeiten in Zukunft erfüllt werden können.
Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit kann aufgeschoben werden, wenn die Gläubiger mit einer Verlängerung der Zahlungsziele oder mit einer Stundung einverstanden sind. In dieser Zeit können Gespräche mit Geldgebern geführt werden, um zusätzliche Liquidität – Eigenkapital der Gesellschafter oder Fremdkapital von Kreditgebern – zuzuführen. Eine dauerhafte Sanierung wird aber nur gelingen, wenn das Unternehmen seinen Liquiditätsbedarf aus eigener Kraft befriedigen kann. Nur dann weist das Unternehmen eine positive Fortführungsprognose auf, die nötig ist, um eine Überschuldung und die mit ihr einhergehenden Haftungsrisiken auszuschließen.