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04 Oct 2022, 2:11 pm
Die Europäische Kommission will die Produkthaftungsrichtlinie überarbeiten und die Haftungsregelungen an das digitale Zeitalter anpassen.
Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für die Überarbeitung der Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Der Vorschlag zielt darauf ab, die Produkthaftungsrichtlinie an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen, denn die derzeitigen Regeln zur Produkthaftung stammen aus dem Jahr 1985. Künftig soll die Produkthaftungsrichtlinie auch Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und dem Internet der Dinge Rechnung tragen.
„Der Richtlinienvorschlag sieht insbesondere vor, dass Software ausdrücklich als Produkt im Sinne der Richtlinie gelten soll“, so Benedikt Beierle, Experte für Produkthaftungsrecht bei Pinsent Masons. „Die Anwendbarkeit der Produkthaftungsrichtlinie bei Software ist bislang umstritten, weil nach der Produkthaftungsrichtlinie nur Sachen, also körperliche Gegenstände, unter den Produktbegriff fallen, Software selbst aber keine Sache ist. Folgt man der Ansicht, dass Software nicht erfasst ist, hat das Haftungslücken zur Folge, die sich mit der immer weiter zunehmenden Bedeutung von Software verschärfen. Deshalb ist diese Klarstellung begrüßenswert.“
Gemäß dem Vorschlag der Kommission würden KI-Systeme und KI-fähige Waren künftig als „Produkte“ eingestuft und somit unter die Haftungsregelung der Richtlinie fallen. Das bedeutet, dass eine Entschädigung möglich ist, wenn fehlerhafte KI einen Schaden verursacht, ohne dass der Geschädigte ein Verschulden des Herstellers nachweisen muss. Der Vorschlag stellt außerdem klar, dass nicht nur Hardwarehersteller, sondern auch Softwareanbieter und Anbieter digitaler Dienste, die die Funktionsweise des Produkts beeinflussen, wie zum Beispiel ein Navigationsdienst in einem autonomen Fahrzeug, haftbar gemacht werden können.
Mit dem Vorschlag soll ferner sichergestellt werden, dass Hersteller für Änderungen an Produkten, die sie bereits auf den Markt gebracht haben, haftbar gemacht werden können, auch wenn diese Änderungen durch Software-Updates oder maschinelles Lernen ausgelöst werden. Außerdem soll die Beweislast in komplexen Fällen, zu denen auch bestimmte Fälle mit KI-Systemen gehören könnten, erleichtert werden.
Die Pläne für die Änderung der Produkthaftungsrichtlinie werden zudem von dem ebenfalls vorgelegten Vorschlag für eine KI-Haftungsrichtlinie flankiert.
Die KI-Haftungsrichtlinie soll Verbrauchern dabei helfen, Schadensersatzansprüche geltend zu machen, wenn beim Betrieb eines KI-Systems Schäden entstehen. Sie sieht unter anderem vor, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Verschulden der Anbieter von Systemen der künstlichen Intelligenz und den von ihren KI-Systemen erzeugten Ergebnissen oder dem Fehlen solcher Ergebnisse vermutet wird.
Nach der vorgeschlagenen neuen KI-Haftungsrichtlinie soll diese Kausalitätsvermutung nur dann gelten, wenn der Kläger drei Kernbedingungen erfüllen kann: Erstens muss das Verschulden eines KI-Systemanbieters oder -nutzers nachgewiesen oder zumindest von einem Gericht vermutet worden sein; zweitens muss es aufgrund der Umstände des Falles als hinreichend wahrscheinlich angesehen werden können, dass das Verschulden die von dem KI-System erzeugte Leistung oder das Versäumnis des KI-Systems, eine Leistung zu erbringen, beeinflusst hat; und drittens muss der Kläger nachgewiesen haben, dass die von dem KI-System erzeugte Leistung oder das Versäumnis des KI-Systems, eine Leistung zu erbringen, zu dem Schaden geführt hat. Durch die Gesetzesänderung soll laut Kommission das Vertrauen von Verbrauchern und Unternehmen in KI-Technologien gestärkt werden, sodass diese künftig häufiger genutzt werden.
„KI stellt eine Herausforderung für die bestehenden Haftungsregelungen dar“, so Technologierechtsexpertin Sarah Cameron von Pinsent Masons. „Ein Haupthindernis für Unternehmen, KI einzusetzen, ist die Komplexität, Autonomie und Undurchsichtigkeit von KI. Dieses Phänomen wird auch ‚Blackbox‘-Effekt genannt. Er führt zu Unsicherheiten bei der Festlegung der Haftung und der Frage, wer dafür verantwortlich ist.“
Der Vorschlag für die Produkthaftungsrichtlinie stützt sich auch auf die Haftungsbestimmungen für Online-Plattformen, die in den kommenden Wochen im Rahmen des Digital Services Act (DSA) in das EU-Recht aufgenommen werden sollen.
Nach dem DSA könnten Online-Plattformen für Verstöße gegen das Verbraucherschutzrecht haftbar gemacht werden, wenn sie Produkte in einer Weise präsentieren oder anderweitig eine Transaktion ermöglichen, „die einen durchschnittlichen Verbraucher zu der Annahme verleiten würde, dass das Produkt entweder von der Online-Plattform selbst oder von einem unter ihrer Aufsicht oder Kontrolle handelnden Händler bereitgestellt wird.“
Die Europäische Kommission hat nun vorgeschlagen, dass Online-Plattformen nach der überarbeiteten Produkthaftungsrichtlinie für fehlerhafte Produkte, die über ihre Plattformen verkauft werden, in gleicher Weise haften könnten wie Händler. Dies gilt, wenn sie das Produkt auf eine Art und Weise präsentieren, die den Durchschnittsverbraucher verwirrt. Plattformen, die „umgehend einen relevanten Wirtschaftsakteur mit Sitz in der EU ermitteln“, der stattdessen haftbar gemacht werden soll, können der Haftung allerdings entgehen.
Als nächstes werden das Europäischen Parlament und der Rat über die vorgeschlagenen Änderungen an der Produkthaftungsrichtlinie und die neue KI-Richtlinie beraten.