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07 Feb 2025, 2:05 pm
Der EuGH hat zu Abtretungsmodellen bei Kartellschadensersatzfällen entschieden. Es geht um die Frage, ob ein Verbot des Sammelklage-Inkassomodells für solche Fälle gegen Unionsrecht verstößt. Eine eindeutige Antwort findet der EuGH nicht.
In dem Verfahren, auf das sich das Urteil des EuGH bezieht, geht es um 32 Sägewerke, die ihre Ansprüche auf Kartellschadenersatz an einen Rechtsdienstleister abgetreten haben. Die Sägewerke sehen sich selbst als Geschädigte des sogenannten Rundholzkartells, das zwischen 2005 und 2019 Rundholzpreise für sich und andere Waldbesitzer abgesprochen haben soll. Konkret geht es um die Geltendmachung von Schäden, die den Sägewerksbetreibern seit dem 28. Juni 2005 durch den Bezug von Rundholz zu angeblich kartellbedingt überhöhten Preisen entstanden sind.
Das beklagte Land Nordrhein-Westfalen hält dem entgegen, dass die Abtretungen der kartellrechtlichen Ansprüche durch die Sägewerke an den Rechtsdienstleister unzulässig und daher unwirksam seien. Der Rechtsdienstleister sei infolgedessen gar nicht Inhaber der Ansprüche geworden. Das mit dem Verfahren betraute Landgericht (LG) Dortmund legte den Fall dem EuGH mit der Frage vor, ob eine Regelung im Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (RDG), die so ausgelegt werden kann, dass Kartellschäden nicht über das Sammelklage-Inkassomodell abgetreten werden können, gegen EU-Recht verstößt.
Bei sogenannten Abtretungsmodellen tritt eine Gruppe von Verbrauchern oder Unternehmen ihre Ansprüche an einen Inkassodienstleister ab, der diese gebündelt außergerichtlich oder gerichtlich geltend macht. Hierfür erhält der Dienstleister in der Regel ein Erfolgshonorar. Nach Auffassung einiger deutscher Gerichte sollen diese Grundsätze jedoch nicht für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gelten, da die Komplexität des Kartellrechts eine besondere Sachkunde erfordere, über die Inkassodienstleister typischerweise nicht verfügten. Die Gerichte berufen sich dabei auf eine entsprechende Regelung im Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), die ausreichende Fachkenntnisse von Rechtsdienstleistern verlangt, wenn diese im Rahmen des Abtretungsmodells beauftragt werden. Das Landgericht (LG) Dortmund befürchtet jedoch, dass diese Gesetzesauslegung Kartellgeschädigten die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes entzieht.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied nun, dass der Ausschluss von Sammelklage-Inkassoverfahren bei Kartellrechtsschäden im RDG einen Verstoß gegen EU-Recht darstellen könnte und erläutert, wann dies anzunehmen sei: Ein Verstoß läge dann vor, wenn das deutsche Recht keinen anderen kollektiven Rechtsbehelf zur Bündelung individueller Forderungen der Kartellgeschädigten vorsieht und sich eine individuelle Schadensersatzklage als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist.
Der EuGH überlässt es jedoch den deutschen Gerichten, abschließend zu beurteilen, ob dies im fraglichen Verfahren der Fall ist. Allerdings hatte das LG Dortmund bereits in seiner Vorlagefrage an den EuGH deutlich gemacht, dass das Sammelklage-Inkasso seiner Auffassung nach in Deutschland die einzige kollektive Verfahrensart darstellt, um den Schadensersatzanspruch in Kartellsachen wirksam durchzusetzen. Daher rechnen Experten damit, dass das LG Dortmund zugunsten der Kläger entscheiden und die Abtretung der Ansprüche an den Rechtsdienstleister für zulässig erklären wird.
"Der Ball liegt zunächst wieder im Spielfeld des LG Dortmund. Eine Entscheidung gegen die Zulässigkeit der kollektiven Geldendmachung im Rahmen des Abtretungsmodells ist jedoch unwahrscheinlich", so Christian Schmidt, Experte für Massenverfahren bei Pinsent Masons. "Anderweitige Möglichkeiten kollektiver Anspruchsverfolgung sind für kartellrechtliche Ansprüche nicht vorgesehen oder der Durchsetzung von Verbraucherrechten vorbehalten. Zudem hat sich auch der Bundesgerichtshof zuletzt eindeutig für die Zulässigkeit von Abtretungsmodellen ausgesprochen."
Der EuGH betont in seiner Entscheidung, dass das EU-Recht jeder Person, die durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht zu Schaden kommt, das Recht einräumt, den vollständigen Ersatz dieses Schadens zu verlangen, und führt aus: "Eine Schadensersatzklage kann entweder unmittelbar von der Person erhoben werden, der der betreffende Anspruch zusteht, oder von einem Dritten, an den der Anspruch abgetreten wurde. Das Unionsrecht regelt allerdings nicht die Modalitäten für die Geltendmachung des Anspruchs auf Ersatz des durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstandenen Schadens."
Folglich sei es Aufgabe der einzelnen Mitgliedstaaten, diese Modalitäten zu regeln, wobei der Effektivitätsgrundsatz zu beachten sei.
"Der Markt für Anbieter gebündelter, größtenteils prozessfinanzierter Anspruchsverfolgung wächst in Deutschland bereits seit einigen Jahren. Die Entscheidung des EuGH dürfte diesen Geschäftsmodellen insbesondere im Kartellrecht weiteren Aufschub leisten", so Carlo Schick, ebenfalls Experte für Massenverfahren bei Pinsent Masons. "Diese Entwicklung macht es aus Sicht der Geschädigten und der Anbieter von Inkasso-Sammelklagen vor allem interessant, auch für verhältnismäßig geringe individuelle Schadenssummen den Rechtsweg zu beschreiten. Für in Deutschland tätige Unternehmen kann es jedoch mit einem erheblichen wirtschaftlichen Risiko einhergehen, den Ansprüchen einer Vielzahl von Geschädigten gesammelt ausgesetzt zu sein, deren Verfolgung auf dem Einzelklageweg wirtschaftlich nicht sinnvoll war."
Die Entscheidung des EuGH bezieht sich nur auf sogenannte Stand-Alone-Klagen.
Im Rahmen einer Stand-Alone-Klage kann sich ein Kartellgeschädigter nicht auf eine bereits ergangene Entscheidung einer Kartellbehörde berufen. Vielmehr muss er selbst Ermittlungen durchführen und somit das Vorliegen kleiner bis mittelgroßer Kartelle durch das Zivilgericht feststellen lassen.
Eine Frage des LG Dortmund zu sogenannten Follow-On-Klagen hielt der EuGH für unzulässig und beantwortete sie daher nicht. Follow-On-Klagen werden auch Folgeklagen genannt und stützen sich auf eine bereits ergangene Entscheidung einer Kartellbehörde. Für die Kläger entfällt somit die Pflicht, das kartellrechtswidrige Verhalten nachweisen zu müssen.
"Die kollektiven Rechtsschutzmöglichkeiten für Geschädigte in Deutschland haben durch die Umsetzung der Abhilfeklage, die Einführung des Leitentscheidungsverfahrens sowie eine Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrens zuletzt erhebliche Entwicklungsschritte durchlaufen", so Schick. "Dennoch zeigt das Urteil des EuGH, dass diese Entwicklungen weiter im Gange sind. Die Vorgaben des Gerichtshofs beschränken sich zwar auf das kartellrechtliche Stand-Alone-Klagen. Allerdings ist die Notwendigkeit prozessualer Mittel zur effektiven Anspruchsverfolgung zur Sicherung des Justizgewährungsanspruchs auch in anderen Rechtsgebieten derzeit Gegenstand höchstrichterlicher Verfahren. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass sich die Risiken einer kollektiven Inanspruchnahme durch zahlreiche Betroffene für Unternehmen weiter erhöhen."
Das Urteil steht auch im Zusammenhang der kontinuierlichen Reduzierung der Darlegungs- und Beweislast für Kartellschadensersatzkläger durch den BGH, zuletzt in seinen Entscheidungen LKW-Kartell IV vom 9.7.2024 und LKW-Kartell V vom 1.10.2024. In der Entscheidung LKW-Kartell IV wurden die Gerichte dazu verpflichtet, einen Schaden zu schätzen, wenn der Kläger alle ihm ohne weiteres zugänglichen Anhaltspunkte vorträgt, ohne dass es hierfür eines Parteigutachtens bedarf. Konkret ließ der BGH eine Studie von Oxera genügen, wonach Kartelle im Median zu einem kartellbedingten Preisaufschlag von 18 Prozent des gezahlten Preises führten. In der Entscheidung LKW-Kartell V wurde den Berufungsgerichten die Möglichkeit genommen, an das jeweilige Instanzgericht zurückzuverweisen, weil eine Schadensermittlung durch Regressionsanalyse erforderlich sei. Auch diese Entwicklungen weisen den Weg eines weiteren Anstiegs der Kartellschadensersatzklagen vor deutschen Gerichten.
Out-Law News
16 May 2023