Out-Law Analysis Lesedauer: 4 Min.
17 Jan 2022, 12:22 pm
Der BGH hat entschieden, dass für Mieter, deren Geschäfte im ersten Lockdown schließen mussten, grundsätzlich eine Anpassung der Miete in Betracht kommt. Ob tatsächlich ein Anspruch besteht, hänge jedoch von den Umständen des Einzelfalls ab.
Der BGH hat endlich über die umstrittene Frage der Mietzahlungspflicht bei pandemiebedingten Geschäftsschließungen entschieden: Nachdem der Gesetzgeber mit dem vorübergehenden Mietmoratorium im Jahr 2020 lediglich Regelungen zum Kündigungsschutz traf, die wesentlich wichtigere und höchst umstrittene Frage nach der Mietzahlungspflicht aber offen ließ, hat der BGH nun mit seiner Entscheidung vom 12. Januar 2022 erste Leitlinien hierzu aufgestellt. Doch welche Bedeutung hat das konkret für die Praxis?
Nach der neuen Entscheidung des BGH steht Mietern, deren Geschäfte im ersten Lockdown 2020 aufgrund pandemiebedingter staatlicher Verfügungen schießen mussten, grundsätzlich der Weg zu einer Mietanpassung über die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß Paragraf 313 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) offen. Nicht jeder Mieter wird aber das Recht haben, seine Miete zu reduzieren.
Laut dem BGH hatte die Corona-Pandemie Einfluss auf die sogenannte große Geschäftsgrundlage, das heißt auf die Erwartung der Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrages nicht ändern. Die Betriebsschließungen könnten insoweit auch nicht mehr dem typischerweise vom Mieter zu tragenden Verwendungsrisiko zugeordnet werden, da diese über das übliche Maß hinaus gingen.
Zur Höhe der vorzunehmenden Anpassung hat der BGH klargestellt, dass es sich dabei um eine Einzelfallentscheidung handeln muss. Hierbei sei die Frage zu klären, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei. Konkrete Vorgaben, wie diese Abwägung auszusehen hat, hat der BGH leider missen lassen.
Er hat allerdings festgestellt, dass zur Vermeidung einer Überkompensierung grundsätzlich auch finanzielle Vorteile, die der Mieter etwa aus staatlichen Leistungen oder aber auch aus Betriebsversicherungen erhalten hat, zu berücksichtigen seien. Mieter seien aber generell auch in solchen Ausnahmesituationen gehalten, konkrete Anstrengungen zu unternehmen, um drohende Verluste selbst auszugleichen. Behauptet der Mieter etwa, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, muss er darlegen und erforderlichenfalls auch beweisen, dass er sich um Hilfeleistungen zumindest bemüht hat. Gelingt ihm der Nachweis nicht, müsse er sich so behandeln lassen, als hätte er die Leistungen tatsächlich erhalten.
Neben einer Anpassung des Vertrages gemäß Paragraf 313 BGB stehen dem Mieter keine weiteren Rechte zu. So hat der BGH entschieden, dass die auf die staatliche Schließungsanordnung zurückgehende Gebrauchsbeschränkung keinen Mangel der Mietsache im Sinne des Paragrafen 536 Absatz 1 Satz 1 BGB begründet. Denn diese beruht nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjektes, sondern knüpft allein an den Geschäftsbetrieb des Mieters an. Ein Vermieter habe ohne weitere Vereinbarung auch nicht für öffentlich-rechtliche Gebrauchsbeschränkungen, Verbote oder Gebrauchshindernisse einzustehen.
Vermietern sei es während der staatlich angeordneten Geschäftsschließungen auch nicht unmöglich gewesen, ihrer Verpflichtung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache nachzukommen. Denn der Gebrauch der Mietsache war grundsätzlich möglich.
Zur Bestimmung der Höhe der Mietanpassung ist laut BGH stets eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen. In die Abwägung einzustellen sind etwa Umsatzrückgänge bezogen auf das konkrete Mietobjekt – wobei der Konzernumsatz hier nicht von Relevanz ist – die Höhe etwaiger Kompensationsleistungen sowie der Grad der Erfüllung der Schadensgeringhaltungspflicht des Mieters.
Hinsichtlich letzterem wird man in der Praxis wohl nach den Asset-Klassen, sowie der Größe des Mietobjektes, unterscheiden müssen. Denn dem Mieter einer großen Einzelhandelsfläche wird es in aller Regel nicht zumutbar sein, einen „Außer-Haus- Verkauf“ im Freien zu organisieren, während man dies aber möglicherweise von Mietern kleiner Einzelhandelsflächen im Sommer verlangen kann. Zudem wird man dem Mieter eines Hotelgebäudes je nach Lage des Hotels voraussichtlich vorhalten dürfen, wenn dieser den Geschäftsbetrieb generell einstellt, und damit auch keine zulässige Vermietung an Geschäftsreisende angeboten hat.
Für Mieter, die während der staatlich angeordneten Betriebsschließungen die Miete anstandslos in voller Höhe weiter bezahlt haben, stellt sich die Frage, ob sie eine etwaige Überzahlung nachträglich geltend machen können. Dies ist möglich, sofern sie ihr Anpassungsverlangen gegenüber dem Vermieter in der Vergangenheit geltend gemacht haben. Wenn nicht, dürfte eine Anpassung des Vertrages nur in Ausnahmefällen möglich sein. Wir gehen davon aus, dass nach diesem Urteil des BGH auch hierzu in nächster Zeit noch richtungsweisende Rechtsprechung ergehen wird.
Für die Zukunft sollte in Verträgen über Mietgegenstände, die potenziell staatlichen Schließungsverordnungen unterliegen könnten, generell eine zwischen den Parteien abgestimmte Regelung zur Mietzahlungsflicht und vorzunehmender Anpassungsquote in die Miet- und Pachtverträge aufgenommen werden. In diesem Zusammenhang sollte auch geregelt werden, ob und wie der Erhalt etwaiger staatlicher Unterstützungshilfen oder Leistungen aus Betriebsversicherungen auf die Miethöhe anzurechnen sind.
Eine Vertragspartei, die in Kenntnis der derzeitigen Lage einen Mietvertrag ohne „Corona-Klausel“ abschließt, wird sich künftig wohl kaum bei Erlass neuer Schließungsverfügungen auf eine Anpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage berufen können. Vielmehr wird man im Umkehrschluss folgern müssen, dass es bei Schweigen des Vertrages zu dieser Thematik bei der gesetzlichen Risikoverteilung, nach welcher der Mieter das Verwendungsrisiko trägt, bleiben soll.
Die Ausführungen des BGH betreffen allein die Thematik der Schließungsverfügung. Offen bleibt damit, ob auch andere staatlich angeordnete Maßnahmen mit erheblichen Auswirkungen auf den Geschäftsbetrieb des Mieters eine Störung der Geschäftsgrundlage begründen. Zu denken ist hier insbesondere an Einschränkungen im Hinblick auf die erlaubte Anzahl von Personen im Mietgegenstand – also Kunden und Gäste des Mieters – sowie die Auflage, nur Personen mit Negativnachweisen (3G, 2G, 2G+) Zutritt zu gewähren, und der damit verbundenen Umsatzrückgang.
Auch nach der BGH-Entscheidung bleiben viele praxisrelevante Fragestellungen weiter offen. Gerichte sind nun gefragt, verbindliche Leitlinien herauszubilden. Da es aufgrund der Diversität der Lebenssachverhalte im Ergebnis aber wohl immer auf eine Einzelfallentscheidung hinausläuft, sind Vermieter und Mieter gut beraten, durch gemeinsame Gespräche eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Für neue Mietverträge im Bereich Einzelhandel und Gastronomie/Hotel ist eine vertragliche Regelung für Corona-bedingte Umsatzrückgänge dringend zu empfehlen, um Mieter vor dem Verlust von Rechten zu schützen und im Interesse beider Parteien einem späteren Streit vorzubeugen.
Co-Autoren: Meike Kirschner, Julia Stubert und Irene Nezer-Kasch von Pinsent Masons