Die EU-Kommission hat am Montag den COVID-19-Impfstoff von Biontech und Pfizer zugelassen, nachdem die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) nur wenige Stunden zuvor die Zulassung empfohlen hatte. Somit steht dem Beginn der Impfungen in den EU-Mitgliedstaaten offiziell nichts mehr im Weg. Der 27. Dezember ist als Start-Termin für Impfungen in Deutschland vorgesehen.
Schon seit mehreren Monaten wird darüber diskutiert, wer den anfangs knappen Impfstoff als erstes verabreicht bekommen darf. Da zu Beginn nicht ausreichend Impfstoff und Impfkapazitäten für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen werden, hat das Bundesgesundheitsministerium am Freitag die Coronavirus-Impfverordnung vorgestellt. Sie sieht vor, dass zuerst in Altenpflegeeinrichtungen geimpft wird; sowohl Bewohner als auch Personal sollen die Impfung erhalten können, ebenso Menschen außerhalb solcher Einrichtungen, die über 80 Jahre alt sind. Anschließend folgen weitere Gruppen mit besonderes hohem Risiko.
Doch obwohl weite Teile der Gesellschaft der Entwicklung und Zulassung eines Impfstoffs lange entgegengefiebert haben, ist noch nicht klar, wie viele Menschen auch tatsächlich bereit sein werden, sich impfen zu lassen. Sowohl die Bundeskanzlerin als auch der Bundesgesundheitsminister haben mehrfach versprochen, dass es keine Pflicht zur Impfung gegen COVID-19 geben werde. Es wird jedoch bereits diskutiert, die Teilnahme an bestimmten Aktivitäten und die Inanspruchnahme gewisser Dienstleistungen an die Vorlage eines Impfnachweises zu knüpfen. Kommt es so zu einer faktischen Impflicht durch die Hintertür?
Erste Fluggesellschaften ziehen bereits in Betracht, auf Interkontinentalflügen nur noch Passagiere zulassen zu wollen, die einen Impfnachweis vorlegen können, sobald ein Impfstoff verfügbar ist. Ein solches Vorgehen wäre auch in Deutschland zulässig, denn im privaten Bereich besteht der Grundsatz der Vertragsfreiheit, wonach jedes private Unternehmen selbst über die Bedingungen seiner Verträge entscheiden darf.
Anders verhält es sich bei staatlichen Unternehmen und bei Unternehmen, an denen der Staat mehrheitlich beteiligt ist, wie etwa die Deutsche Bahn: Sie genießen nicht das juristische Privileg der Vertragsfreiheit. Möchten sie dennoch eine Regelung einführen, nach der geimpfte Personen bevorzugt würden, so brauchen sie hierfür einen Sachgrund. Gerade die Deutsche Bahn hat zugleich aber auch eine Beförderungspflicht, die sie dazu zwingt, auch ungeimpfte Menschen mitzunehmen. Diesen könnte sie beispielsweise einen gesonderten Wagon zuweisen, in welchem dann bestimmte Infektionsschutzmaßnahmen gelten.
Das Hausrecht gestattet es dem Eigentümer, Mieter oder Pächter, der das Hausrecht innehat, frei darüber zu entscheiden, wem er Zutritt gewährt. In privaten Gebäuden kann ungeimpften Personen daher durchaus der Zugang verweigert werden, so beispielsweise auch in Sportstätten, Restaurants oder Hotels.
Grenzen bestehen indessen bei Geschäftsräumen, die für den allgemeinen Publikumsverkehr geöffnet sind, wie Shoppingcenter oder Supermärkte. Hier bedarf es eines sachlichen Grundes, ein Hausverbot zu verhängen. Das könnte der Schutz der Gesundheit von Kunden und Besuchern sein. Auch Konzertveranstalter könnten auf der Vorlage eines Impfnachweises bestehen, da bei Massenveranstaltungen ein erhöhtes Ansteckungsrisiko besteht.
Grenzen wären freilich erreicht, wenn flächendeckende Hausverbote dazu führen würden, dass nicht geimpfte Personen von der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern des täglichen Bedarfs ausgeschlossen wären.
Aktuell wird auch darüber diskutiert, ob Arbeitgeber von ihren Mitarbeitern verlangen können, sich gegen COVID-19 impfen zu lassen. Solange es keine gesetzliche Impfpflicht gibt, ist dies im Grundsatz zu verneinen. Ausnahmen sind allenfalls in extrem sensiblen Bereichen vorstellbar, in denen der Schutz anderer Personen anderweitig praktisch nicht gewährleistet werden kann. Denkbar wäre das beispielsweise bei Ärzten oder Pflegepersonal, die regelmäßig mit Hochrisikopatienten in Kontakt stehen.
Allerdings wird man selbst in diesen Bereichen sorgfältig abwägen müssen, ob nicht etwa durch Corona-Schnelltests ebenfalls ein ausreichender Schutz der Patienten gewährleistet werden kann. Eine Weigerung des Arbeitnehmers, sich impfen zu lassen, würde indes nicht ohne Weiteres einen Kündigungsgrund darstellen. Zunächst wäre der Arbeitgeber in diesem Fall verpflichtet, den Arbeitnehmer an einen anderen, geeigneten Arbeitsplatz zu versetzen. Sollte dies nicht möglich sein, könnte es allerdings zu einer personenbedingten Kündigung kommen. Gerade bei einer größeren Zahl an Impfverweigerern im Betrieb würde das jedoch die Betriebsabläufe gefährden, insbesondere im Bereich der Pflege, wo ein genereller Mangel an Arbeitskräften herrscht.
Geht es hingegen um Mitarbeiter, die neu eingestellt werden, so kann ein Impfnachweis prinzipiell einen geeigneten Differenzierungsgrund bei der Beurteilung von Bewerbern darstellen: Bewerber mit Impfnachweis könnten dann bevorzugt behandelt, Bewerber ohne sogar für die Stelle ausgeschlossen werden. Schwierig zu beurteilen wird die Lage aber bereits, wenn eine Impfung für den Bewerber ein nicht unerhebliches Risiko darstellen würde, wie das nach aktuellem Erkenntnisstand beispielsweise bei Schwangeren oder Menschen mit schweren Allergien der Fall ist.
Unabhängig davon, ob es um Mitarbeiter, Gäste oder Kunden geht: Allein schon wegen der emotionalen Aufladung des Themas ist mit zahlreichen Klagen zu rechnen, daher sollten entsprechende Maßnahmen vorab sorgfältig geprüft werden.
Out-Law Analysis
03 Sep 2020